Du bist im Büro, hast eine Besprechung, jemand kommt mit einer Anfrage oder einer Mitteilung zu dir. Und du? Du spürst ein gewisses Missfallen in dir.

Du bist zu Hause, dein Partner oder deine Partnerin kommt mit einer „Spitzenidee“, deine Kinder wollen eine Erlaubnis von dir, der Nachbar steht in der Tür.

Und wieder ist es da – dieses Missfallen.

Dein Körper spricht mit dir – doch du findest keine Worte.

Wie kannst du nun verstehen, was dir dein Körper sagen will?

Wir sind es eher gewohnt, uns darüber zu unterhalten, wie etwas ist, wer wie ist, oder was wie ist. Wir sprechen darüber, wie wir über Situationen oder Menschen denken. Wir tauschen unsere Meinungen aus, bekleben Situationen oder Menschen mit Etiketten, ordnen sie ein.

Ordnen uns ein.

Auf die Frage: „Wie geht es dir?“, folgt häufig ein: „Danke, gut“, manchmal auch ein: „Mir geht es grad gar nicht gut.“ Oder „Mir geht es schlecht.

Wir sind es so gewohnt, alles zu bewerten, dass wir sogar unsere Gefühle bewerten!
Mit „Gut“, wenn wir uns wohlfühlen und mit „Schlecht“, wenn gerade unangenehme Gefühle erlebt werden. Doch damit tun wir ihnen unrecht.

Gefühle entscheiden wesentlich mit,
wie wir mit bestimmten Situationen umgehen.

Stell dir vor, jemand sagt zu dir: „Das ist soeben hereingekommen. Das muss dringend in der nächsten Stunde fertig gemacht werden.“

Oder stell dir andere Situationen vor:

  • Du begegnest deiner höchst gereizten Kollegin am Gang.
  • Dein Chef wischt lautstark deine Anliegen vom Tisch.
  • Deine Mitarbeiter gestehen dir, einen schweren Fehler gemacht zu haben.

Jede dieser genannten Situationen kann Auslöser für Gefühle in dir sein.

Je nachdem, auf welchen emotionalen Boden eine Aussage fällt, werden in dir unterschiedliche Bewertungen ausgelöst und Bedürfnisse in Schwingen gebracht.

Der „emotionale Boden“ ist jene Gefühlslage, in der du bist, in dem Moment, in dem ein Auslöser wahrgenommen wird.

  • Wie reagierst du auf die oben genannten Aussagen oder Situationen, wenn du müde und erschöpft bist?
  • Was passiert, wenn du ohnehin schon gestresst bist?
  • Und wie fühlst du dich, wenn du wegen einer anderen Sache bereits sehr verärgert und grantig bist?
  • Was, wenn du gelassen bist und in dir ruhst?

Die gleiche Aussage bekommt andere „Triebkraft“ je nachdem, wie du dich gerade fühlst und du wirst entsprechend unterschiedlich re-agieren.

Schnell vermischen sich im Alltag Auslöser und Gefühle und du reagierst automatisch auf diese Mischung. Womöglich nicht so, wie du eigentlich handeln möchtest. Es passiert ganz einfach.

Darum ist es für dich selbst ganz wichtig, gut mit dir verbunden zu sein und zu wissen, wie du dich fühlst. So kannst du unterscheiden, was der tatsächliche Auslöser (= deine Beobachtung) ist und auf welchen emotionalen Boden die neue Situation gefallen ist. Wenn du das trennst, kannst du wahrnehmen, wie es dir jetzt damit geht und schlussendlich wesentlich bewusster handeln. So wie DU bestimmst zu handeln.

Gefühle machen Sinn!

Gefühle sind nicht gut oder schlecht. Es gibt Gefühle, die sehr angenehm zu spüren sind und solche, die unangenehm wahrgenommen werden. Doch alle Gefühle machen Sinn!

Sie zeigen dir an, ob ein Bedürfnis gerade erfüllt ist oder ob sich ein Bedürfnis meldet, weil es erfüllt werden möchte.

Sie geben dir Orientierung, worum es dir jetzt, in dem Moment, geht.

Ich zeige dir das in Form von Bildern:

Stell dir vor, dass jedes Bedürfnis von einem Glas symbolisiert wird.
Je nachdem, wie sehr das Glas gefüllt ist, so fühlst du dich:

 

Wenn es um das Bedürfnis nach Nahrung geht:

Leert sich das „Glas“ langsam, bekommst du zuerst Appetit, dann kommt der Hunger, der Magen knurrt, irgendwann bist du heißhungrig und gereizt.

Sobald du dein Bedürfnis nach Nahrung (womit auch immer) erfüllt hast, bist du satt. Hast du mehr gegessen als gebraucht wurde, wird dir schlecht. Nichts anderes als Botschaft deines Körpers an dich selbst.

Das Bedürfnis nach Ruhe und Erholung:

Anfangs bist du müde, wirst unkonzentriert. Du gähnst, die Augenlider werden schwer.
Du fühlst dich erschöpft, kraftlos, energielos und bald genervt und gereizt.

Zu diesem Zeitpunkt ist das Glas schon ziemlich leer, die Gereiztheit zeigt dir die Dringlichkeit an.

Du brauchst Ruhe!

Sobald das Bedürfnis voll ist, bist du wach, munter, fit, energiegeladen, …

Du siehst es gibt hier viele Wörter dafür.

Das Bedürfnis nach Sicherheit:

Je nachdem, wie leer oder voll es ist, fühlst du dich unsicher, irritiert, ängstlich, besorgt, hast Angst, bist voll Sorge oder panisch.
Leert es sich schnell, bist du schockiert.

Füllt es sich rasch, „fällt dir ein Stein vom Herzen“ und du bist erleichtert. Ist es voll, fühlst du dich sicher. Ganz viele Worte machen genau deutlich, wie der momentane Stand des jeweiligen Bedürfnisses ist.

Du kennst das bestimmt auch für das Bedürfnis nach Sinn.

Leert sich das Glas, merkst du das daran, dass du frustriert reagierst, wird es noch weniger, sinkt der Spiegel immer weiter, reagierst du resigniert.

Sobald das Bedürfnis voll ist, bist du voller Tatendrang und kannst es gar nicht erwarten loszulegen.

Dazu ist es wichtig, wahre Gefühle von Pseudo-Gefühlen zu unterscheiden.

Pseudo-Gefühle sind Gedanken und Bewertungen, die sich als Gefühl ausgeben und für viel Ärger im Leben sorgen. 

Wahre Gefühle spürst Du körperlich.

Es ändern sich im Körper – verbunden mit entsprechend unterschiedlichen hormonellen Ausschüttungen –  Atmung, Blutdruck und Puls, Muskelspannung, Gesichtsfarbe und viele andere Körperparameter. 

Al Weckert empfiehlt den „Babytest“ 

Ein Baby fühlt wahre Gefühle: es kann gelangweilt, traurig oder neugierig sein, hungrig oder satt, müde oder wach, frustriert oder voll erfreut.

Könnte das Gefühl, für das du nun als Erwachsener ein Wort hast, auch von einem Baby empfunden werden? Dann handelt es sich um ein echtes Gefühl.

„Gefühle geben dir Orientierung.“ 2

Gefühle zeigen dir direkt an, was in dir gerade ins Schwingen gekommen ist.

Gefühle zeigen dir an, worum (um welches Bedürfnis) du dich kümmern sollst.

Wie du mit deine Gefühlen umgehen kannst (statt sie mit dir):

Gefühle sind real. Darum macht es Sinn, dass du erkennst, was du nicht tun kannst.

Was Du nicht tun kannst:

Du kannst Gefühle nicht verhindern. Vom Auslöser bis zum erlebten, wahren Gefühl dauert es oft weniger als 1/5 Sekunde!

Paul Ekman hat über alle Kulturen dieser Welt geforscht und entdeckt, dass es dieselben Grundgefühle in uns Menschen gibt und sich diese Gefühle auch im Ausdruck universell zeigen – oft in nur weniger als einer fünftel Sekunde. Er nennt das Mikroausdruck – micro expression.3

Etwas also, das kein Mensch steuern kann.

Was Du tun kannst:

Je schneller du also deine Gefühle wahrnimmst, verstehst und ernst nimmst, umso rascher verändern sie sich.

Sobald du bewusst mit ihnen umgehst und verstehst, worauf sie dich aufmerksam machen wollen, entdeckst du viele sinnvolle, dir dienliche Handlungsmöglichkeiten.

Übe täglich, am besten mehrmals, besonders auch in nicht herausfordernden Situationen, deine Gefühle wahrzunehmen.
Es geht ganz einfach und du brauchst oft nicht einmal extra Zeit dafür!

Übung 1:

  • Lade hier GRATIS eine inspirierende Liste von möglichen Gefühlen herunter.
  • Klick hier drauf und hol dir die Liste!
  • Markiere jene Wörter, die auch du so verwenden würdest – hier geht es um Authentizität!
  • Fallen dir weitere Gefühlswörter ein? Dann schreib sie dazu!
  • Schau am Abend durch, welche Gefühle du am jeweiligen Tag erlebt hast.

 

Übung 2:

Übe, wenn du auf dem Weg bist!

Ob auf dem Weg von zu Hause zur Arbeit – von der Arbeit zum Einkaufen – weiter zum Kinder abholen – beim Spaziergang mit dem Hund – … . Nutze jeden Weg von A nach B!
Bist Du mit dem Auto unterwegs, wird jede rote Ampel zu Übungsgelegenheit!

  • Halte auf dem Weg von A nach B 1 – 3 Mal kurz inne.
  • Wo bist du jetzt gerade? Nimm das ganz bewusst wahr!
  • Wie fühlst du dich jetzt gerade?
  • Wenn du dir beim Benennen deiner Gefühle noch schwer tust, kann dich die vorhin genannte Gefühle-Liste unterstützen.

Wenn mehrere Gefühle in dir lebendig sind:

In jedem Moment des Lebens können mehrere Bedürfnisse in dir im Schwingen sein.

Auch hierfür habe ich ein Bild für Dich: Stell dir deinen Körper als Harfe vor, auf der die Saiten gespannt sind. Jedes Bedürfnis ist eine Saite in dir.
Welche Saiten schwingen? Welche Töne klingen? Klingt es in dir gerade stimmig?
Oder nicht? – Was möchte „gestimmt“ werden?

Nimm alle Gefühle in dir wahr!

Wie geht es Dir bei den Übungen?

Welche Gefühle erlebst Du?

Ich freu mich, wenn Du mir schreibst!
Herzlichst,
Irmgard

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1 vgl. Weckert 2013, S 56. – 2 vgl. Fritsch 2008, S 30 – 3 vgl. Ekmann 2004, S 20

Literaturverzeichnis

Ekman, P. (2004): Gefühle lesen. München. Elsevier GmbH
Fritsch, G. (2008): Praktische Selbstempathie. Paderborn: Junfermann
Weckert, A. (2013): Gewaltfreie Kommunikation für Dummies. Weinheim: Wiley-VCH Verlag