Ob du willst oder nicht, dein Leben ist ein stetiger Fluss. Unaufhaltsam fließen unzählige Tropfen ihrem Bestimmungort entgegen – dem großen Meer. Auf dem Weg dorthin gibt es ruhige, stille Strömungen, ein Sammeln in einem Becken, einer Ausbuchtung. Dann wieder ein Weitertreiben und manchmal sogar ein Stürzen über einen Wasserfall.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,

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So ist unser Leben. Stetig fließend. Von einer in die nächste Phase. Bis zum Schluss. Dieses Wandeln von einem Tag zum anderen. Dieses Schreiten von einem Raum zum nächsten fällt manchmal schwer. Wenn es ums Loslassen geht.

Es gibt Zeiten, da treibst du voran, stürmisch, voll Tatendrang. Erklimmst Stuf` um Stufe im Beruflichen. Entwickelst dich vom Single zum Partner. Zu Vater oder Mutter. Manchmal kommt dir vor, die Zeit schleicht, es geht nichts weiter. Alles ewig gleich. Vorhersehbar die Tage. Bis sich der nächste Raum nähert. Es kommt Bewegung in die Sache. Vielleicht nimmst du es gleich wahr: deine Kinder, die nach und nach größer werden, selbständiger, ihre eigenen Wege suchen. Ein inneres Rufen deinen Be-Ruf betreffend, Lust auf Neuland, zarte Ideen, die sprießen. Der Wechsel in die wohlverdiente Pension. Oder eine Unzufriedenheit, die sich aufbaut, es scheint außen verdichten sich die Ereignisse, die dich weiterschieben, pressen, drücken – in eine bestimmte Richtung. Egal ob im Privaten oder in der Arbeit. Partnerschaft, Beziehungen, Berufsleben, Wohnsituation – bedeutsame Felder, in denen sich Räume im Laufe deines Lebens verändern.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne …

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Doch was, wenn du noch nicht am Anfang, sondern gerade noch am Ende eines deiner Räume bist und dir das Loslassen schwerfällt? Wenn du in einer Art Niemandsland festhängst. Du bist nicht mehr da und noch nicht dort.

Du weißt, im alten Raum passt es nicht (mehr) für dich. Du spürst, die Grenze dieser Zeit ist bereits überschritten. Doch du hältst noch fest.

Gibt es in dieser Veränderung einen Schmerzpunkt, der erreicht oder überschritten ist, fällt das Loslassen leicht!

Doch wenn es das nicht ist. Was hält dich zurück?

Wir sehen Dinge im Außen, die uns scheinbar zurückhalten.

Doch wir selbst sind es, die noch an etwas festhalten.

Wenn du beispielsweise dein geliebtes Kind (noch) nicht frei lassen willst, weil du Sorge hast, dass er/sie es noch nicht schafft, dich noch braucht. Was, wenn der gewählte Weg nicht klappt? Dann ist es deine Angst. Deine Sorge. Deine Sehnsucht nach Sicherheit. Aus der eigenen Perspektive denken wir oft zu wissen, was für den/die andere gut wäre. Sicher wäre. Doch können wir das wirklich wissen? Was das Beste für andere ist? Wir haben unsere Vorstellungen, unsere Ideen. Aus unserem altersreichen Erfahrungsschatz. Nicht mehr.

Wenn du in einer Lebens-WG hängst, einer zweckdienlichen, praktischen Form privater Partnerschaft. Auch das hat seine Vorteile. Lähmend gut genug, um nicht auszusteigen. Trotz innerer Sehnsüchte, innerer Rufe. Hunger nach ErLEBEN. Was hält dich? Ah! Du möchtest andere nicht verletzen? Hast Angst vor den Konsequenzen? Angst vor den Veränderungen, die du selbst initiieren würdest. Wer will schon schuldig sein? Und wofür? Wer weiß, was danach kommt? Ob es wirklich besser ist? Und was soll schon dieses ewige Streben nach etwas Besserem? Man kann ja auch wirklich mal zufrieden sein und etwas aushalten.

Dasselbe gilt für berufliches Stagnieren trotz innerer Rufe. „Ich kann ja nicht meine Kollegen im Stich lassen.“ „Die Arbeit ist echt nicht meines, aber das Team ist einfach super!“ „Das Team ist mühsam, aber die Arbeit taugt mir.“

Du bindest dich an vergangenen schönen Erlebnissen, Erfahrungen. Es war nicht alles schlecht. Es war viel Gutes dabei. Es ist noch viel Gutes da. Das kannst du nicht einfach so weg.  Das Alte zurücklassen. Neues eröffnen.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,

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Neue Räume entdecken versus Immer gleiche Wiederholung des Altbekannten, des Vertrauen.

Hängenbleiben, Festhalten, nicht loslassen können bedeutet alltägliches Wiederholen des ewig Gleichen. Ein Frühling, der die Knospen zusammenkneift und sich nicht befruchten lässt, sich nicht dem Sommer öffnet. Ein Sommer, der die Früchte nicht zum Ernten reifen, die Bäume nicht zur Vorbereitung auf den Winter herbstlich färben lässt. Ein Herbst, der seine Blätter nicht loslässt und die Säfte ins Innere holt, um den Winter das Leben im Verborgenen schützen lässt. Ein Winter, der den Frühling unter einer harten Winterdecke zurückhält. Leben ist Weiter-er-leben.

Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

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Loslassen heißt wertschätzen dessen, was war.

 

Loslassen heißt Abschied nehmen:

Abschied von geliebten Menschen, von bestimmten Formen von Beziehungen: Eltern – Kind – Beziehungen, Freundschaftsbeziehungen, Arbeitsbeziehungen, Beziehungen zu Vereinen, Orten, …

Abschied von Träumen: von erfolgreich gelebten, die nun verblüht sind, wie von nicht erfüllten.

Abschied von Zielen: von jenen, die du stolz erreicht und solchen, die du nicht erreicht hast und nun loslässt.

Abschied von bestimmten Vorstellungen, von persönlichen Ideen.

Abschied von alten Geschichten, Dramen und Verletzungen.

 

Loslassen heißt frei sein.

 

Frei sein.

Dieser Augenblick zwischen Einatmen und Ausatmen.

Der Moment zwischen Ausatmen und erneut Luft holen.

Loslassen, wir tun es ständig im Atmen. Sonst könnten wir nicht leben.

Da musst du durch!

Du bist die Person, die durch geht.

 

Loslassen. Vertrauen.

Was passiert?

Eines ist gewiss: Neue Räume tun sich auf.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

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Ob du den neuen Raum im Geiste bereits eingerichtet oder ihn noch nicht gestaltet hast: Sei dir klar, was dir lebensWERT ist. Füll diese kostbare neue Phase mit dem, was dir wichtig und Wert ist. Lass dich überraschen, welch Geschenke das Leben für dich bereithält!

Mach dann den Schritt und lass los.

Was möchtest du loslassen?

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