Alles hat seine Grenzen. Bei aller Liebe und allem Bemühen, es gibt den Punkt, da ist es genug. Die Arbeitsweise dieser bestimmten Kollegin. Die nicht enden wollende Anforderungsliste des Chefs. Hundert Änderungen. Ungerührt wirkende Teenager in den letzten Metern des Schuljahres verbunden mit einem Gleichgültigkeitsverhalten was die Mithilfe im Haushalt anbelangt. Das Spasseteln der Kinder bei Tisch, das über die Grenzen geht. Was, wenn es um Verhandlungen und ums liebe Geld geht? Um andere Themen?
Wir sind alle „nur“ Menschen und keine Wunderwuzzis. Ist Gewaltfreie Kommunikation immer möglich? Wo fängt sie an? Wo hört sie auf? Was sind ihre Grenzen?
Was kannst du tun, wenn du an die Grenzen gelangt bist?
Die Grenze ist erreicht, wenn du nicht (mehr) von Herzen geben, sondern
- es dem/der anderen so richtig geben möchtest. Wenn deine Streitlust erwacht und du deine Messer wetzt. Du es dem/der anderen so richtig zeigst!
- aus Schuld- oder Schamgefühlen, die du so wegbekommen möchtest.
- weil du Angst hast vor den Konsequenzen, wenn du es anders machen würdest.
- wenn du nicht von Herzen für dich da bist und wohlwollend auf dich schaust, sondern mit dir haderst, dich kritisierst, dir Vorwürfe machst, dich vergleichst, Verantwortung abschiebst, …
- wenn du nicht zu dem stehst, was für dich wichtig und Wert ist und Wege FÜR das, dir WESENtliche, sondern Wege GEGEN Menschen oder Situationen suchst.
- wenn du an fixen Vorstellungen und Ideen hängst.
Was ist die Gewaltfreie Kommunikation?
In ihrer Grundhaltung ist die Gewaltfreie Kommunikation meines Erachtens unsere natürliche Kommunikation.
Nämlich immer dann, wenn
- wir uns mit anderen gut verstehen und uns wohlwollend begegnen.
- du offen, ehrlich und klar alles ansprechen kannst, was dich beschäftigt.
- du aufrichtig interessiert am anderen bist und dir wichtig ist, ihn/sie richtig zu verstehen.
Gewaltfreie Kommunikation bedeutet für mich, Wahlmöglichkeiten zu haben, wenn ich an meine Grenzen stoße oder wenn jemand, mit dem ich beruflich oder privat zu tun habe, an meine oder seine Grenzen stößt. Das du an Grenzen gelangt bist, merkst du an der Stimmung, die sich verschlechtert und an deinen Gedanken: Bewertungen tauchen auf, Meinungen, wie der/die andere sein sollte, tun sollte und was so absolut gar nicht geht!
In diesem Moment geht es um Bewusst-sein!
Sich selbst bewusst sein, was hier gerade passiert.
Es geht um VerANTWORTung. Um Antwort geben! Was in dir ist. Welche Gefühle und welche Bedürfnisse. Worum es dir geht!
Und darum, dem/der anderen seine/ihre ANTWORT zu lassen: diese wahr- und ernst zunehmen! Sie ernsthaft verstehen zu wollen. Sie zu berücksichtigen.
Es geht um Freiheit. Deshalb forderst du nicht. Du bittest um das, was du konkret möchtest. Du lässt dem/der anderen die Freiheit JA oder NEIN zu sagen. Weil du flexibel bist, entweder anders für deine Bedürfnisse zu sorgen oder breit bist, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die für beide passen.
Was ist aber, wenn der andere gar nicht will?
Was ist, wenn der andere deine Grenzen überschreitet?
Was ist, wenn das für dich jetzt gerade gar nicht geht?
Wahlmöglichkeiten, wenn dich etwas stört, nervt oder auf die Palme bringt
Du kannst auf Angriff gehen!
Es dem/der anderen zurückgeben, zeigen. Laut oder leise.
Vielleicht sprudeln Vorwürfe und Kritik aus deinem Mund oder verkleiden sich in Fragen: „Wieso kannst du nicht einmal …?!“ „Bitte erklär mir, was so schwer daran ist, …“
Womöglich weißt du gerade genau, wer Schuld ist oder du analysierst, was mit dem/der anderen nicht stimmt. Diagnosen stellen, was dem/der anderen fehlt oder er/sie zuviel hat, fällt dir leicht.
„Das ist ja alles kein Spaß!!!“ „Es geht ja um was!“ „Was ist daran so schwer zu verstehen?“, fragst du dich noch, während der Druck in dir dich treibt. Vergleiche mit anderen, abwerten, bewerten, fordern, drohen, strafen, loben. Wenn es nur hilft!
Ob mit feiner Klinge, zynisch, provokant, ob sudernd, meckernd, jammernd oder polternd, pöbelnd, laut. Es reicht!
In diesen Kategorien zu denken, sind wir gewohnt. Dein Blick ist nach Außen gerichtet. Genau da soll sich etwas ändern! Endlich!
Ist nicht Gewaltfreie Kommunikation. Eh klar!
Doch manchmal kannst du nicht anders.
Die wahrscheinliche Folge:
- Der/die andere geht auf Gegenangriff. Legt noch ein Scheibchen dazu, damit es sicher bei dir bleibt. Oder sagt JA und tut NEIN.
- Der/die andere zieht sich zurück: Macht etwas, damit der das von dir Gehörte „wegbekommt“, weil er/sie sich schuldig fühlt, sich schämt oder Angst hat vor den Konsequenzen. In seinem/ihren Kopf rotieren die Gedanken und Urteile über dich!
Ist nicht Gewaltfreie Kommunikation. Eh klar!
Doch manchmal kannst du nicht anders.
Gewaltfreie Kommunikation ist es, wenn du
- dir danach Zeit für dich nimmst,
- deinen Unmut wahr und ernst nimmst und ihn ernsthaft verstehen möchtest,
- Klarheit bekommen willst, was gerade die Sache war oder ist, wie du dich in dieser Situation fühlst und worum es dir im Innersten geht (deine Bedürfnisse und Werte)
- dir alternative Handlungswege ausmalst, wie du für deine Bedürfnisse und dich sorgen kannst ohne gegen den/die andere zu gehen.
Übrigens: Eine dritte mögliche – wenn auch eher unwahrscheinliche – Folge: Der/die andere nimmt deinen Unmut wahr und ernst und möchte dich ernsthaft verstehen: was Sache ist, wie es dir gerade geht und worum es dir geht und was er/sie für dich tun könnte.
Du ziehst dich in der Situation zurück.
Vielleicht resignierst du bereits, vielleicht bist du einfach schon zu müde, womöglich traust du dich nichts sagen oder bist schlichtweg überrumpelt.
Während deine Lippen schweigen, rotieren deine Gedanken.
Passiert diese Situation einmalig und kannst du sie am Wegrand des Tages stehen lassen? Herzlichen Glückwunsch!
Beschäftigt dich der Vorfall noch länger?
Manche Menschen schleppen nervende, ärgerliche Situationen tage-, wochen-, sogar monatelang mit sich rum. Lassen sie vor ihrem geistigen Auge immer wieder aufleben.
Solange dich Gedanken beschäftigen und Gefühle bewegen, ist es noch nicht gut.
Im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation kannst du dir ehest bald Selbsteinfühlung geben: Nimm wahr, worum es dir geht, welche Bedürfnisse und Werte in dir ins Schwingen gekommen sind.
Begreife, was dir wirklich wichtig ist! Was ist das Wichtigste? Kannst du jetzt etwas dafür tun? Wenn ja, mach es! Wenn nein, lass das Ereignis frei!
Wenn auch andere anders ticken: Du weißt, was dir wichtig ist! Worauf du Wert legst!
Wiederholt sich diese Situation wieder, besteht große Gefahr!
Wenn du nicht sagst, was du anders haben möchtest, wird es der/die andere nicht wissen und geht davon aus, dass alles passt. Die Stufen der Entwicklung sind vorhersehbar: Es wird wieder passieren. Du steigst nicht mehr bei Null ein. Es ärgert dich schon etwas mehr. Nun hast du 2 Möglichkeiten: Du sagst etwas und gibst dem/der anderen die Chance im Sinne von KLARHEIT und FAIRNESS das zu wissen und etwas zu ändern. Oder du sagst nichts. Bald wirst du bereits darauf achten, ob dieses Verhalten wieder vorkommt. Welch Überraschung! Es wird wieder passieren. Es wird immer schwieriger für dich, die Sache neutral anzusprechen. Erstens bist du ja schon auf 100 und zweitens ist es auch komisch: solange sagst du nichts und auf einmal passt dir etwas nicht mehr?? Entscheidest du dich wieder für den Rückzug, braucht es nur zum „passenden Moment“ wieder passieren. Du explodierst. Weder wertschätzend noch klärend!
Manche Themen kannst du in deinem Rückzug natürlich immer noch an „höhere Mächte“ abgeben, hoffen und beten. 😉
Du setzt wertschätzend Grenzen und sagst respektvoll STOP
Wenn ich hier von WERTschätzung schreibe, dann beginne ich bei dir: bei deinen Werten, bei deinen Bedürfnissen und dass diese genauso wertgeschätzt werden, wie die des/der anderen!
Vielleicht bist du gerade hundemüde und brauchst RUHE.
Vielleicht bist du gestresst und unter Druck und möchtest die SICHERHEIT haben, dass sich deine Dinge alle gut ausgehen.
Vielleicht warst du lange freundlich und entgegenkommend und legst nun Wert auf einen PARTNERSCHAFTLICHEN UMGANG, auf eine Ausgewogenheit von GEBEN und NEHMEN.
Vielleicht ärgert dich die Art und Weise, wie dir der/die andere begegnet und es geht dir um RESPEKT. Um RESPEKT dir gegenüber. Du bestimmst, was du dir gegenüber erlaubst und was nicht!
Es gibt viele gute Gründe, viele WERTE, die wahr- und ernstgenommen werden wollen!
So kannst du RESPEKTVOLL STOP sagen und deine Grenzen wahren in 4 Schritten:
Schritt 1:
Informiere, das deine Grenze erreicht ist. Ruhig, neutral, klar, bestimmt.
Schritt 2:
Genügt das nicht, bitte den/die andere, anders zu agieren. Ruhig. freundlich, klar, bestimmt.
Schritt 3:
Kommt das nicht an, forderst du den anderen auf! Ganz klar!
Ob das noch im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation ist, da scheiden sich die Geister. Wenn es um den Schutz der eigenen Grenzen und nicht gegen den/die andere geht, sehe ich persönlich das noch im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation.
Schritt 4:
Hilft das auch nicht, handelst du. Für dich! Du gehst aus der Situation, du ziehst deine Konsequenzen. Wieder: FÜR DICH! Nicht gegen den/die anderen!
Du stellst dir die Entscheidungsfrage
Weitere Handlungsmöglichkeiten sind abhängig davon, wer entscheidet! Entscheidest du, entscheidet der/die andere oder geht es um eine gemeinsame Entscheidung?
Oder anders gefragt: Wem gehört das Problem? Wem gehört die Sache?
Du entscheidest
Deine Sache – deine Entscheidung!
Gehört das Problem, die Sache dir? Dann brauchst du nicht um Erlaubnis zu bitten! Niemanden zu fragen!
Du schaust es dir neutral an, fragst dich, was dir in Bezug auf die Sache wichtig ist, identifizierst das für dich Wichtigste und entscheidest, was du DAFÜR tust. Wie du handelst.
Wenn du möchtest, kannst du die Bedürfnisse und Anliegen der anderen berücksichtigen. Berücksichtigen bedeutet, diese wahrzunehmen und zu verstehen und sie dann in deine Entscheidungen einfließen zu lassen. In dein JA oder in dein NEIN. Je nach Situation! Jedoch: Deine Sache, deine Entscheidung!!!
Der / Die andere entscheidet
Seine/Ihre Sache – seine/ihre Entscheidung!
Gehört das Problem, die Sache dem / der anderen? Dann kannst du ihn / sie um etwas bitten. Bitte bedeutet, der/die andere ist frei, JA oder NEIN zu sagen.
Wenn er/sie möchte, kann er/die deine Bedürfnisse und Anliegen berücksichtigen. Berücksichtigen bedeutet, diese wahrzunehmen und zu verstehen und sie dann in die eigene Entscheidung einfließen zu lassen. Sein/ihr JA oder sein/ihr NEIN. Je nach Situation! Jedoch: Die Sache der anderen, die Entscheidung der anderen!!!
Beispielsweise auch das „Lernthema“ in Familien: du kannst fordern, fördern, unterstützen – wohlgemeint! Du willst, dass es deinem Kind gut geht und kannst es nicht „machen“. Du kannst bitten, betteln, locken, Druck machen, einfordern, strafen, loben (und das alles wirkt auf eure Beziehung! Nicht im Positiven!) doch das Lernen selbst ist Sache der Schüler.
Gehört die Sache also jemand anderen, kannst du auf jeden Fall deinen Druck herausnehmen. Er schadet dir, er schadet eurem Miteinander und eurer Beziehung,
Was, wenn du auf etwas, das dir wichtig ist, immer nur ein NEIN erhältst? Auf welche Art auch immer? Dann kannst du der Frage nachgehen, wie DU damit umgehen möchtest! Das NEIN des/der anderen schafft dir eine freie Ausgangsbasis. Du kannst dir andere Wege suchen und finden.
Ihr entscheidet gemeinsam
Gemeinsame Sache – gemeinsame Entscheidung!
Hier gibt es den Sonderfall unterschiedlich gewichteter VerANTWORTung: Wer trägt mehr davon?
Beispielsweise:
Elternteil und Kind: je nach Alter des Kindes verändert sich der VerANTWORTungsbereich und wandert langsam, meist in Stufen, immer mehr zum Kind. Baby – Kleinkind – Kind – Jugendliche/r. Gerne empfehle ich dazu das Buch: Ich will anders, als du willst, Mama! Kinder dürfen ihren Willen haben. Eltern auch. Von Britta Hahn
Führungskraft und Mitarbeitende: Als Leitende/r hast du eine andere VerANTWORTung als deine Mitarbeitenden. Es geht um alle – dich eingeschlossen. Entscheidungen kannst du ganz oder teilweise abgeben, was jedoch auch bereits eine letztendlich von dir getroffene Entscheidung ist.
Meine Buchtipps hierzu sind:
Beate Brüggemeier: Wertschätzende Kommunikation im Business: Wer sich öffnet, kommt weiter. Wie Sie die GFK im Berufsalltag nutzen
Erfolgsfaktor Menschlichkeit: Wertschätzend führen – wirksam kommunizieren. Ein Praxishandbuch von Gabriele Lindemann und Vera Heim.
Bist du die Person, die mehr VerANTWORTung trägt, als der/die andere?
Was ist der Rahmen, den du vorgibst, innerhalb dessen eine gemeinsame Entscheidung getroffen werden soll?
Worauf legst du WERT?
Woran merken das die anderen?
Welche Erwartungen hast du daher auch an die anderen?
Z.B. in der Familie: Haushalt und Mitwirken im gemeinsamen Haushalt
Frage nach: Was ist den anderen Beteiligten wichtig? Was stellen sie sich wie vor?
Je offener darüber gesprochen und danach gehandelt wird, umso leichter fällt es, sich „Dinge“ auszureden.
Ist das Miteinander ein Einseitiges, liegt es an dir, dir zu überlegen, wie du damit umgehst. Was ist dir wichtig und was willst du für dich und deine Werte tun?
Ist der/die andere die Person, die mehr VerANTWORTung trägt, als du?
Was gibt diese Person vor? Was ist der Rahmen, innerhalb dessen eine gemeinsame Entscheidung getroffen werden soll?
Worauf legt sie WERT?
Bestimmt auf SICHERHEIT, RESPEKT und SELBSTBESTIMMUNG.
Darum macht es Sinn, Vorschläge und Bitten zu äußern und klar zu machen, dass die Letztentscheidung beim anderen liegt.
Bei gemeinsamen Entscheidungen macht folgendes Vorgehen Sinn:
Schritt 1:
Was ist der Status quo? Die Ausgangssituation? Welcher Frage oder welchen Fragen wollt Ihr, ganz sachlich, nachgehen?
Schritt 2:
Was soll alles berücksichtigt werden? Was sind die Bedürfnisse und Anliegen aller Beteiligten? Für Jetzt und für die Zukunft?
Schritt 3:
Was davon ist euch gemeinsam das Wichtigste?
Schritt 4:
Welche Ideen gibt es schon jetzt, wie Ihr etwas machen könnt?
Schritt 5:
Was entscheidet Ihr gemeinsam?
Jede Situation ist neu geboren, auch wenn du sie scheinbar schon tausend Mal erlebt hast. Manchmal bist du überrumpelt, überfordert, es ist schlichtweg zu viel! Vielleicht gehst du dann auf Angriff oder in den Rückzug. Die Frage ist, was du daraus für dich lernst. Vielleicht das:
Nimm dir Zeit für dich!
Geht es um das wahr- und ernst nehmen deiner Grenzen?
- Notiere Schritt 1 – 4, wie du informieren, bitten, fordern oder wenn nötig, schließlich handeln kannst!
- Bist du innerlich gut vorbereitet, kann die Situation gerne wieder kommen: Du kannst dich ausprobieren und neue Erfahrungen sammeln!
Willst du diesen unangenehmen Druck weg und mehr Entspannung rein bekommen?
- Erstelle eine Liste mit allem, wofür du dich verANTWORTlich fühlst.
- Danach streiche alles weg, was nicht in deiner Hand liegt und wofür du nicht verANTWORTlich bist. Weil du darauf keine Antwort geben kannst! Lass die anderen ihre eigenen Antworten finden und geben.
- Was ist übrig geblieben?
- Widme dich nun intensiv jenen „Sachen“, die du in der Hand hast! Hau dich ins Zeug und gib da dein Bestes!
Wie ist das bei dir?
Herzliche Grüße
Irmgard