Erziehung greift, Erziehung sitzt. „Sitz ruhig!“ „Sei still!“ „Stör nicht!“ „Kannst du nicht einmal eine Ruhe geben?!“ „Iss ordentlich!“ „So spricht man nicht!“ „Sag dies, sag jenes!“ „Kannst du nicht zuhören?!“, knallen die Kommandos  mal freundlicher, mal schärfer im Staccato auf die zarten Kinderwelten, fegen über den Esstisch durch die ganze Wohnung hinweg. Rügen, fordern, drohen: „Wenn du so weitermachst, wird das nichts mit dem Eis / mit der Schule / mit deinen Wünschen.“

Unsere normale Sprache

So lernen wir von klein auf unsere Sprache. Die Sprache unserer Eltern, die Sprache unserer nächsten Umgebung, die Sprache unserer Gesellschaft. So prägt sie sich in uns ein. So prägt sie uns.

Über die Ohren. Über die damit verbundenen Stimmungen, die körpersprachlich ausgesendet werden. Über die Augen, wenn wir in den unterschiedlichen Medien lesen. Wenn schwarz auf weiß festgeschrieben ist, wer wie ist, wer schuld ist (oder zumindest vielleicht), wer bestraft gehört, was man fordern und was man bekommen muss!

Alltäglich prasseln sie auf uns nieder, offene oder versteckte Forderungen, so sie überhaupt direkt an uns herangetragen und nicht nur angedeutet werden. Du kennst die Worte, du verstehst die Betonungen, dir ist klar, was gemeint, was erwartet, was gefordert wird. Von dir. Du kennst die Worte, die unsere Sprache ausmachen. Die Worte, die dir eingetrichtert wurden. Die du wiederholt hast. Die du abgespeichert hast. Die du verinnerlicht hast. Die du gewohnt bist. Die du übernommen hast, ohne je darüber bewusst nachgedacht zu haben. So redet „man“ eben. Das ist doch normal.

Tagein tagaus wird hin gepickt. Wie Hühner ihre Körner picken. Auf die anderen. Wie sie sind. Was sie tun und besser nicht tun sollten. Was sie tun müssten. Wie es sich gehört! Es ist verfestigt und es ist eine selbstverteidigende, angriffige, schuldzuweisende Sprache, die wir, wenn notwendig wie eine Waffe einsetzen, um uns vermeintlich zu schützen. Schutz vor wem, vor was?

Oder setzen wir damit einen gefährlichen, weil nur schwer stoppbaren, inneren Prozess in uns in Gang, der in negativer Reinkultur gedanklich austeilt, verurteilt. Ein Prozess, mit dem wir uns selbst nach und nach einmauern. Einzementieren. Hart werden.

Hilflos werden, wenn wir das ändern wollen. Ratlos sind, wenn wir unsere Wünsche äußern, die anderen jedoch nicht verletzen wollen. Wenn der Hunger nach wirklich gehört und richtig verstanden werden größer wird und wir weder Schuld zuweisen wollen, noch dass sich der/die Angesprochene schlecht fühlt. Wie kann das gelingen?

(D)Eine neue Sprache

Die Sprache ist eine wunderbare Form der Vermittlung, nur wird sie oft absichtlich oder eben unabsichtlich, ihrer Schönheit beraubt und als scharfes Schwert eingesetzt.

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus.
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist der Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

Rainer Maria Rilke

In unserer Familie, in unserer nächsten Umgebung im Umgang mit unserem Partner und unseren Kindern setzen wir leider allzu oft unsere Sprache nicht als wertschätzendes kommunikatives Instrument ein, mit dem wir die Bindung und Verbindung unterstützen, sondern eben als trennendes, verletzendes Werkzeug.  

Ja, wir haben es so gelernt und ja, besonders in aufreibenden, nervenden Augenblicken ist es so schwer, bei sich und im Positiven zu bleiben.

Wir teilen aus, wir kämpfen und sobald es einen Kampf gibt, muss es auch einen Sieger und einen Verlierer geben. Und dass in unserem innersten Umfeld! Wollen wir das?

Jetzt lesend, in einem entspannten, ruhigen Moment, kann die klare Antwort darauf nur NEIN lauten.

Gibt es eine Möglichkeit, die gleiche Sprache, versehen mit anderen Worten und einer verbindenden Tonlage neu für uns zu entdecken und damit in der Partnerschaft und Familie ein neues, wohltuendes Kapitel des Miteinanders aufzuschlagen?  

Ja, es geht, wir müssen nur Rilke und die Schönheit seiner Gedichte als Vorbild eines farben- und bildreichen Ausdrucks wählen. Es muss nicht gleich Poesie sein, jedoch kann ein neues tiefgreifendes Gefühl für die Sinnhaftigkeit von Worten entstehen als Transportmittel für gute, positive Botschaften.  

Die Einladung

Was, wenn wir nicht mehr auf andere picken und zeigen und deuten? Sondern, wenn wir die anderen herzlich zu uns einladen? In unsere Welt. Wenn wir uns auf unsere Besuchenden vorbereiten und uns überlegen, was wir sagen, was wir mitteilen wollen. Welche Türen wir öffnen, welche Räume wir zeigen und wie wir die Zeit des Besuches gestalten wollen?

Wenn wir unsere Tür öffnen, die anderen hereinbitten. Wenn wir unseren Besuch bitten, Platz zu nehmen und wir es uns gemütlich machen. Wenn wir klar und ehrlich über unsere aktuelle eigene Situation sprechen, von unseren Gefühlen und Bedürfnissen erzählen. Wenn wir uns zeigen, mit dem, was uns WERT, was uns wichtig ist. Dann hat das WERT! Ist das WERTvoll, wird das WAHRgenommen und damit auch geHÖRT.  

Wir eliminieren die große Anzahl versteckter Forderungen, mit denen wir aus Frust und Unzufriedenheit unsere Umgebung bombardiert haben. Wir machen uns unsere Bedürfnisse und Sehnsüchte selbst KLAR, schaffen dazu in Ruhe auch die SELBSTbestätigung und SELBSTüberzeugung. Es geht uns um etwas Wichtiges, um etwas WESENtliches und das wollen wir richtig ausgedrückt auch genauso vermitteln. Ja, es fällt schwer im Positiven zu bleiben, den anderen nicht etwas VORzuwerfen sondern EINFACH nur zu zeigen, was jetzt gerade in uns lebendig ist. Was uns beschäftigt und bewegt. NICHT verschwommen und unklar, sondern DEUTLICH und UNMISSVERSTÄNDLICH, das sind wir uns SELBST wert und dafür stehen wir auch. Dafür müssen wir nicht angreifen und mit schwerem Gerät auffahren. Dafür brauchen wir nur WERTschätzend für die Person mit der wir sprechen unsere WORTE wählen und vermitteln.

Eine am Anfang neue und auch nicht sofort leicht zu sprechende Sprache. Aber eine ganz STARKE und EINDRÜCKLICHE.

Sei Du selbst die Veränderung, die Du Dir wünschst für diese Welt.
Mahatma Gandhi

Es ist Zeit, von der Konfrontation abzuweichen und selbst den ersten Schritt in eine richtige, weil harmonischere Richtung zu setzen. Weg von einem Sieger- und Verliererdenken, hin zu einem Öffnen eines neuen, wertschätzenden Kommunikationskanals.

Bitten

In diesem neuen Umfeld sind nun auch die BITTEN, die wir zeigen wollen, zu sehen.

Wir schätzen unsere Nächsten und nehmen uns daher auch Zeit zum Formulieren, wir kreieren verbale Bilder, ausdrucksstarke Sätze, die Einblick in unser Innerstes gewähren. Wir packen unsere Ideen aus und begeben uns damit auf eine neue bisher unbekannte Ebene der Kommunikation. Kein Platz für Verteidigungen wie bisher, damit entsteht vielleicht ob der Überraschheit Stille. Kein Angriff, sondern eine spürbare Wertschätzung die wohltuenden Worte umgibt, trifft auf unseren Partner. Nichts wie sonst üblich, sondern Positives ohne Attacke. Das hat Kraft. Nicht umsonst war Gandhi mit seiner wohlgewählten und friedlichen Sprache so unglaublich überzeugend. Es ist ein neuer Raum, der entsteht, den man sich nicht entziehen kann, sich nicht entziehen möchte. Ja, eine BITTE steht im Raum, eine Präsentation innerer Bilder und Vorstellungen. Wie etwas aussehen könnte. Eine Möglichkeit. Ein Wunsch. Nicht mehr und nicht weniger.

Die anderen verstehen plötzlich, was dahintersteht und warum sie uns so wichtig ist. Nicht mehr und nicht weniger. Sie fühlen das andere, das Besondere, das diese BITTE umgibt. Der Geschmack der Freiheit. Hier schwebt sie nun im Raum, der gerade geschaffen wurde. Damit entsteht VERBINDUNG genau das, was uns wichtig ist und worauf wir so großen Wert legen. VERBUNDEN und FREI sein.

Wirkungsvolle Samen

Wir haben den Anfang gemacht und das Magische daran ist, dass nicht die PERFEKTION wirkt, sondern die spürbare EHRLICHKEIT. Damit gibt es auch keinen Grund für Hemmungen wie sonst, wenn wir etwas Neues probieren und noch verunsichert sind.  Nein, unser Partner merkt sofort, dass der Boden, der betreten wurde, ein neuer ist und dass für ihn/sie genauso ACHTSAMKEIT angebracht ist. Er/sie merkt, dass es selbst auch nicht so leicht fällt, sich derart auszudrücken. Es ist etwas in Gang gekommen und damit beginnt etwas, das wichtiger ist als die Sache derer wir uns zu einer BITTE aufgeschwungen haben. 

Wir haben einen neuen, persönlichen und damit besonderen Raum zwischen uns beiden geschaffen.

Text von Stefan und Irmgard Wallner Foto: Danila Amodeo

Irmgard und Stefan.

Was wir schätzen: Klar sehen, klar verstehen, Klartext reden. Wertschätzend und wirksam.
Räume schaffen, Verbindung wachsen und gedeihen lassen.
Früchte bestaunen und schmecken. Kostbar!

 

 

 

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