Unsere Welt ist von Informationsflut, ständiger Kommunikation und Meinungsaustausch geprägt. Da mag es überraschen, dass viele immer öfter vor einer scheinbar einfachen Frage zurückschrecken:

„Was kann man noch sagen?“

Hast du dich auch schon einmal in einer solchen Situation befunden? Oder hast du diese Frage von anderen eher als Aussage denn als Frage gehört?

Hast du erlebt, dass du dich zurückgehalten hast mit deinen Gedanken, weil du befürchtet hast, dass sie auf Ablehnung stoßen oder Missverständnisse hervorrufen können? Vielleicht hast du dich sogar gefragt, ob deine Ansichten in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft überhaupt noch einen Platz haben?

Was ist das, das dich schweigen lässt?

Die Angst zu sprechen: Gründe und Auswirkungen

„Was darf ich noch sagen?“ ist nicht nur ein Spiegel unserer persönlichen Unsicherheit, sondern auch ein Zeichen unserer Zeit, in der die Angst vor Kritik, Ablehnung oder anderen unangenehmen Konsequenzen immer mehr zu einem vorherrschenden Schweigen führt.

Heute, im digitalen Zeitalter, findet der Mainstream auf vielen Kanälen ein breites, begieriges Publikum, das sich schnell zum Richter aufschwingt über das, was gesagt werden darf und was nicht. Was richtig und was falsch ist.

Jede Meinungsäußerung verbreitet sich über soziale Medien und Online-Plattformen schnell und weit. Diese Sichtbarkeit hat eine Schattenseite: Die Angst vor negativem Feedback, Missverständnissen oder gar Shitstorms – dem digitalen Äquivalent zum früheren Pranger – ist greifbar und real.  Anstatt auf Argumente und berücksichtigenswerte Bedürfnisse zu hören, scheint das Niedermachen der Person hinter der Meinung zur neuen Normalität zu werden. Es geht darum, den anderen wortgewaltig mundtot zu machen. Dazu ist jedes Mittel recht. Jeder Satz, jedes Wort kann unter die Lupe genommen, kritisiert oder aus dem Zusammenhang gerissen werden.

Das führt zu einer Art Selbstzensur. Wir beginnen, unsere Gedanken aus Angst vor den Konsequenzen zu filtern. Uns zurückzuhalten. Und fühlen uns nach und nach isoliert. Einsam. Beunruhigt. Aber unsere Gedanken sind noch da! Denn das Unausgesprochene löst sich nicht in Luft auf!

Was uns beschäftigt, bleibt und wird zu dicker Luft. Verdichtet sich zu dunklen Wolken, die sich über uns legen und auf unsere Stimmung drücken. Sie türmen sich auf und schieben sich zwischen uns und die anderen. Je dichter sie werden, desto weniger können wir die anderen sehen. Wahrnehmen. Greifen. Wir selbst können mit unseren Anliegen nicht gesehen werden, wenn wir uns nicht zeigen. Je schwerer das Unausgesprochene wird, desto mehr belastet es unsere Beziehungen!

Die Lautstarken dominieren: Das Missverständnis der Stille

Eine solche Dynamik ist nicht nur destruktiv für den einzelnen Menschen, sie untergräbt auch unseren sozialen Zusammenhalt und das liebevolle Miteinander, das wichtig ist für eine Gesellschaft.

Doch wie ist es um dieses Miteinander bestellt, wenn der Mainstream zum Taktstock der öffentlichen Meinung wird? Wenn ein Ton alle anderen übertönt? Wenn wir das Feld denen überlassen, die keine Angst haben, ihre Meinung laut zu äußern. Wenn Schweigen als Zustimmung oder Gleichgültigkeit verstanden wird? Dann führt dies zu einer verzerrten Wahrnehmung der öffentlichen Meinung, in der extreme oder polarisierende Ansichten vorherrschend erscheinen. Wie entfernen uns damit zunehmend von der Idee einer vielfältigen, toleranten und offenen Gemeinschaft.

Es ist entscheidend, die Intention hinter unseren Worten zu reflektieren. Fördern sie das Zusammenleben und tragen sie zum Frieden bei?

Radikale Ansichten, die das Ziel haben, eine Gesellschaft mit einseitigen Aussagen zu bombardieren und ihr Weltbild zu torpedieren, dürfen nicht den Diskurs dominieren. Sie untergraben die Fundamente des friedlichen Zusammenlebens. Daher stellt sich die Frage: Wie können wir offenbleiben, ohne uns selbst aufzugeben?

Im Kleinen wie im Großen. Daher betrachten wir die Frage doch erst einmal im Kleinen. 

Zwischen Harmonie und Meinungsvielfalt: Dialog in Familie und Beruf

Im Kleinen – in der Familie, im Freundeskreis, unter Arbeitskollegen – wollen wir uns miteinander wohl fühlen. Wie leicht ist das, wenn wir einer Meinung sind! Wenn wir uns gegenseitig auf die Schulter klopfen und uns bestätigen! Wir wissen, wie der Hase läuft! Wir kennen uns!

Aber was passiert, wenn wir die Dinge anders sehen und unterschiedliche Meinungen aufeinanderprallen?

Dann wollen wir das gemeinsame Klima nicht vergiften. Keinen Streit vom Zaun brechen.

Und stehen plötzlich vor einem Dilemma: Sagen wir unsere Meinung und riskieren damit, das gute Miteinander zu stören?

Da ist diese Unsicherheit, nicht „gut“ dazustehen, mit diesen Gedanken abgelehnt oder dafür kritisiert zu werden, Die Sorge, dass aus einem gesellschaftlichen Thema ein Persönliches wird.

  • „Wie kannst du nur so denken?“
  • „Das hätte ich mir nicht von dir gedacht!“
  • „Du siehst das ganz falsch!“

Oder schweigen wir lieber, um den Frieden zu wahren? 

Erste Wolken am Beziehungshimmel bilden sich.

Meinungsverschiedenheiten: Können Beziehungen das aushalten?

Eine Frage hat sich in den Raum gestellt: Haltet unsere Beziehung Meinungsverschiedenheiten aus?

Mögen und verstehen wir uns nur dann, wenn wir einer Meinung sind? Oder verstehen wir uns so gut, dass wir auch die andere Meinung hören und verstehen mögen?

Diese Frage ist daher nicht nur ein Test für die Stärke unserer Beziehungen, sondern auch eine Gelegenheit, sie zu vertiefen. Wenn wir uns auf eine andere Ebene begeben. Auf die Ebene des Verständnisses. Wenn wir uns verstehen wollen, auch wenn wir nicht einverstanden sind.

Der Schlüssel liegt darin, einen Raum zu schaffen, in dem sich alle Beteiligten sicher fühlen, ihre Gedanken zu äußern, und in dem Unterschiede nicht als Bedrohung, sondern als Chance zur Erweiterung des eigenen Horizonts gesehen werden. Dies erfordert aktives Zuhören, Empathie und auch die Bereitschaft, den eigenen Standpunkt in Frage zu stellen.

Letztlich geht es in solchen Diskussionen selten darum, zu einer Lösung oder Einigung zu kommen, sondern um die gemeinsame Erkundung eines Themas. Sich damit auseinanderzusetzen.

Dabei ist es wichtig, die 2 Arten der Auseinandersetzung zu kennen! 

Von getrennten Tischen zum gemeinsamen Puzzle: Wege der Diskussionskultur

Es gibt zwei grundsätzliche Herangehensweisen an die Auseinandersetzung, die sich gut mit Bildern aus der Schulzeit und dem Puzzlespiel veranschaulichen lassen. Auf der einen Seite gibt es die „Auseinandersetzung“ im wörtlichen Sinne, ähnlich wie in der Schule, wo Kinder, die sich streiten, so weit wie möglich voneinander auseinandergesetzt werden, um weitere Streitereien zu vermeiden. Das löst aber nicht das zugrunde liegende Problem. Meinungen und Missverständnisse bleiben bestehen, was langfristig zu einer Verhärtung der Fronten führt.

Auf der anderen Seite gibt es die „Auseinandersetzung“ im Sinne eines gemeinsamen Puzzlespiels. Hier geht es darum, sich gemeinsam mit einem Thema zu beschäftigen, auch wenn nicht alle (Wissens-)Teile vorhanden sind. Jede Person legt die Puzzleteile, die sie sieht, auf den gemeinsamen Tisch und bringt ihre Sicht auf diese Teile – ihre Perspektiven, Erfahrungen und ihr Wissen – ein. Gemeinsam wird versucht, ein umfassenderes Bild des Themas zu bekommen, wobei jedes Teil zur Vervollständigung des Gesamtbildes beiträgt.

 Vielfalt der Perspektiven: Schlüssel zum Verständnis!

Mit anderen BetrachtungsWEISEn entstehen neue SichtWEISEn.

Jeder Schritt zur Seite offenbart neue Details des Puzzles, die aus der ursprünglichen Position nicht sichtbar waren. Ähnlich verhält es sich mit der Betrachtung von Themen und Meinungen. Indem wir bewusst verschiedene Standpunkte einnehmen, eröffnen wir uns die Möglichkeit, ein Thema in all seinen Facetten zu verstehen.

Es bedeutet also, sich aktiv die Frage zu stellen: „Wie sieht dieses Thema aus der Sicht einer anderen Person aus?“ Dies kann bedeuten, sich in die Lage eines Kollegen, eines Familienmitglieds oder sogar einer Person mit einer völlig anderen Lebenserfahrung zu versetzen. Durch diesen Wechsel der Perspektive können wir unsere eigenen Annahmen hinterfragen und zu einem tieferen Verständnis gelangen.

Auf diese Weise können wir schnell zu folgenden Schlussfolgerungen kommen:

  • „So habe ich das noch nicht gesehen.“ 

Oder

  •  „Wenn ich es so sehe, sieht es ganz anders aus“.

Manchmal begreifen wir erst durchs Verständnis das wahre Ausmaß von komplexen Zuständen, die sich nicht mit einer einfachen Antwort lösen lassen.

Wir haben also unseren Horizont erweitert und uns ein neues Bild gemacht. Wir haben uns weiter gebildet.

Werden wir betrachtungWEISE, hilft uns das, vorschnelle Urteile zu vermeiden und stattdessen ein umfassenderes Bild der Situation zu gewinnen. In einer Zeit, in der die Welt immer komplexer wird, ist diese Fähigkeit, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, unerlässlich für ein konstruktives Miteinander.

7 Schritte zu einem konstruktiven Austausch: Übungen für den Alltag

Das Allerwichtigste, wenn wir uns fragen, was wir sagen wollen, ist die Frage nach der Absicht und nach dem Ziel. Mit welcher positiven Absicht willst du dich auf das Gespräch einlassen? Was ist das Ziel?

  • Was ist, wenn du keine positive Absicht findest? Achtung! Dann hinterfrage dich!
  • Und was, wenn du kein bestimmtes Ziel hast? Kläre zuerst dich selbst! Sonst kann es blitzschnell passieren, dass du dich ganz woanders wiederfindest, als dort, wo du eigentlich hinwolltest!

1. Einstellung:

  • Ist die positive Absicht verstehen und verstanden werden wollen? Klärung? Etwas anderes?
  • Ist das Ziel ein WERTschätzender Austausch? Etwas anderes?

2. Vorbereitung:

  • Sich Zeit nehmen, um das Thema gründlich zu verstehen. Fakten wie Puzzleteile sammeln.
  • Eigene Annahmen erkennen und reflektieren.

3. Aktives Zuhören:

  • Dem Gesprächspartner die volle Aufmerksamkeit schenken und sich vergewissern, ob wir richtig verstanden haben und ob sich unser Gesprächspartner richtig verstanden fühlt.
  • Anerkennen, dass unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen zu unterschiedlichen Meinungen führen können.

4. Klar und respektvoll kommunizieren:

  • Möglichst genau formulieren, welche Gedanken und Meinungen dich zu dem Thema beschäftigen.
  • Verdeutliche, wie du dich dabei fühlst und welche Bedürfnisse und Werte dir in Bezug auf das Thema wichtig sind.
  • Sich vergewissern, ob man vom Gesprächspartner richtig verstanden wurde: „Kannst du mir bitte sagen, was du von mir verstanden hast?“

5. Wechselseitiger wertschätzender Austausch als Ziel:

  • zwischen Zuhören, bis wirklich verstanden wurde
  • und von sich sprechen, bis man wirklich verstanden wurde.

6. Erkennen und Akzeptieren

  • gemeinsame Bedürfnisse, Werte und Anliegen ansprechen.
  • Andere Meinung akzeptieren – „Ich bin ok und du bist ok, auch wenn wir zu bestimmten Themen anders denken.“

7. Reflexion

  • Wie geht es uns jetzt?
  • Gemeinsam überlegen, was gut gelaufen ist und was in Zukunft verbessert werden könnte.

 

Für eine Gesellschaft, in der jede Stimme zählt: Das Ziel einer wertschätzenden Diskussionskultur

Vieles ist wesentlich leichter zu hören und zu verstehen, wenn wir es WERTschätzend formulieren. Wenn wir uns zeigen, mit unseren Gedanken, Gefühlen und dem was uns kostbar und Wert ist. Wenn daher die Frage auftaucht: „Was darf man noch sagen?“. Dann können wir uns fragen, was unsere positive Absicht und unser Ziel ist, wenn wir uns mitteilen. Je klarer wir das haben, umso leichter fällt es uns, die passenden, die stimmigen Worte zu finden.

Wie wollen wir in Zukunft miteinander leben? Welche WERTE wollen und sollen mit Leben gefüllt werden und zum Leben beitragen?

Beginnen können wir jeden Tag im Kleinen. Je mehr Übung wir haben, umso mehr Sicherheit bekommen wir und es fällt uns leichter, uns mit unseren ANTWORTEN auf die Fragen der Gegenwart zu zeigen.

Es ist die VerANTWORTung und gleichzeitig die Chance jedes Einzelnen, zu einer positiven Veränderung beizutragen. Jede einzelne Stimme zählt. Jede Handlung wirkt.

Wie ist das bei dir?

💛 Wie oft hältst Du Dich zurück, Deine Meinung zu sagen?

💛 In welchen Situationen fällt es Dir besonders schwer, Deine Gedanken respektvoll zu äußern?

💛 Wie möchtest du wertschätzende Diskussionen fördern?

Wenn du magst, kannst du uns schreiben. Wir freuen uns darauf, von dir zu lesen!
Herzlichst,
Irmgard und Stefan

Stefan und Irmgard Wallner, Foto von Danila Amodeo